2020 war ein schräges Jahr. Dabei sah es so vielversprechend aus und wirkte so rund nach Außen, oder? Es sollte doch für Aufbruch und Neues stehen. Nun, das tat es ja durchaus, nur eben anders als ich es mir ausgemalt hatte. Es hat uns wohl alle ziemlich durchgerüttelt, mich auf jeden Fall. Es war ein prall gefülltes Jahr (wie eigentlich immer), aber die Ereignisse waren gepaart mit Irritation und Unsicherheit, Zuversicht aber auch Zweifel, Liebe und manchmal Verzweiflung. Gefüllt war 2020 mit ungewohnt viel Zeit für mich, die ich nutzen konnte, um mich intensiv mit mir auseinanderzusetzen.
Ich habe meine innere Festplatte bereinigt und bin noch mit der Neuprogrammierung beschäftigt. Für mich hieß es in diesem Jahr mehr denn je, Türen schließen und Altes verabschieden. Nicht immer alles freiwillig, das gebe ich zu. Manche Türen wurden mir auch vor der Nase zugeschlagen – sinnbildlich gesehen, und das tat weh.
Für eine kurze Zeit war es im Raum um mich herum ohne die bekannten und vertrauten Türen ganz schön dunkel. Bald ließen sich aber die Umrisse weiterer Türen erahnen. Ich kenne mich und meine Muster. Als vielseitig Interessierte bin ich schnell geneigt, begeistert aufzuspringen, um neue Wege zu erkunden. Manchmal verlaufe ich mich auch dabei, wenn auch mit Zuversicht und voller Tatendrang.
In meinem schnellen im Leben unterwegs sein, geht mir manchmal die Energie vorzeitig aus, meistens dann, wenn ich nach einer Weile feststelle, dass es gar nicht der Weg ist, auf dem ich eigentlich unterwegs sein will und mich das Interesse bald wieder verlässt. Pausen vergesse ich dabei auch gern mal. Also habe ich mir in diesem Jahr bewusst Zeit gelassen und bin in Ruhe durch meinen inneren Raum gewandelt. Mir sind darin ein paar verstaubte Ecken aufgefallen, die ich mir genauer angeschaut habe. Ich habe ausgemistet, was mich belastet, mich nach unten zieht oder mich nicht weiterbringt, habe sortiert, gereinigt, geschärft und alles gut gelüftet. Mein persönlicher Klärungsprozess war eine Reinigung auf allen Ebenen, um einen Ort für Neues zu schaffen.
Ich habe mich in die Mitte des Raumes gesetzt und mich selbst in den Fokus gerückt. Ausruhend vom großen Trubel meiner Welt, in der ich bisher so gern im Außen unterwegs war. Staunend auf den Aktionismus um mich herum blickend, unfähig selbst auch nur einen Schritt zu tun, mein schlechtes Gewissen stets dabei auf meiner Schulter sitzend. Ich müsste jetzt doch! Ich sollte endlich mal! Was will ich denn eigentlich wirklich? Ich kann gerade nicht!
Das Innehalten aushalten. Nicht wissen, was gerade Sinn macht oder wie die nächsten Schritte aussehen. Überforderung trotz Ruhe, oder gerade deshalb. Keine schöne Krise jedenfalls, soviel ist klar. Im Rückblick betrachtet hat sie mich weitergebracht und Sinn gemacht. Aber ist man drin und ist aufgefordert Neuland zu betreten, will man ja am liebsten gleich wieder raus und zurück in die Wohlfühlzone.
Der Raum hat mich eingeladen, mich in den Zug des Wandels zu setzen und mich auf die Reise mit Ziel Klarheit und Bewusstsein zu begeben. Es braucht seine Zeit. Natürlich.
Dieses Jahr hat mich ausgebremst. Als hätte da jemand die Notbremse gezogen. Ich war schon immer irgendwie ein kleines bisschen zu schnell unterwegs in meinem Leben. So, als wolle ich mich selbst überholen, in meiner Sehnsucht nach Anerkennung von Außen, nach gesehen und geliebt werden. Ich wollte so gern alles nicht Erlebte möglichst zügig in Gelebtes umwandeln. Meine Ideen umsetzen. Träume verwirklichen. Ja nichts verpassen. Dabei sein. Das Leben erleben in all seiner Fülle und mit all seinen Möglichkeiten. Und dann war das plötzlich nicht mehr möglich. Stillstand. Wie auf einem Abstellgleis, weil die Weichen defekt sind.
In der Ruhe des Raumes wurden die alten, vertraute Glaubenssätze plötzlich ganz laut. Ich bin geblieben und habe zugehört. Es fehlte die Ablenkung. Ich habe die Stimmen hinter den Stimmen erkannt, es ausgehalten, mich ihnen zu stellen und einmal mehr gelernt, zu unterscheiden. Zwischen dem was ist und dem was war. Transformation. Erst langsam. Dann mit aller Erkenntnis, über alle Widerstände hinweg, endlich annehmend. Das war ein tiefer und heilender Prozess und er ist sicher noch nicht ganz abgeschlossen.
Die Liebe stellt sich mir in diesem Jahr mit all ihrer Kraft und Präsenz in den Weg. Sie will an die Oberfläche und sichtbar werden, will sich zeigen, mit einer für mich neuen, weicheren und dennoch klaren Sprache, weil sie durch eine neue Haltung getragen wird. Sie will wirken. Also gebe ich ihr die Möglichkeit und bin mutig, damit nach Außen zu gehen. Sie zeigt sich durch ein neues und tiefes Verständnis für mich selbst, auch in einer neuen Form der Wertschätzung für mein bedingungsloses Sein und damit auch für Andere.
Liebe ist das zentrale, verbindende Element im Leben.
Sie gestaltet alles.
Die Fragen, die ich mir stellte, stelle ich auch den Menschen, mit denen ich als Coach arbeite. Aber dieses Mal stand mein ICH davor.
- Wie bin ICH eigentlich im Leben unterwegs?
- Was steuert MICH aus meinem tiefsten Inneren?
- Was davon will ICH nicht mehr in meinem Leben?
- Was ist MIR wirklich, wirklich wichtig?
- Welche Werte tragen mich?
- Welchen Sinn gebe ICH meinem Leben?
- Wie möchte ICH den Rest MEINES Lebens gestalten? Ausgehend davon, dass ich noch einige Zeit leben darf.
Wir gestalten die Welt, in der wir leben und unser Denken, Handeln und unsere Emotionen wirken, immer. Auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Der Wandel, in dem sich die Welt schon immer befindet, erfordert es, sich bewusst darüber zu werden, wie wir im Leben unterwegs sind und es zukünftig sein wollen. Auch darüber, welche Auswirkungen unser Verhalten auf das System hat, in dem wir uns bewegen und leben. Der Bewusstseinswandel startet bei jedem Einzelnen selbst. Ich empfinde es als wichtiger denn je, mich auf meinen persönlichen Klärungsprozess einzulassen. Weil ich mich entwickeln möchte und mein Leben, soweit es mir möglich ist, selbst gestalten will.
Ich bin nicht reich (zumindest nicht finanziell betrachtet – leider). Aber ich lebe im Luxus. Zwar verbrauche ich gerade meine Altersvorsorge, die, wenn ich ehrlich bin, aber eh noch viel zu rar ausgestattet war, um im Alter davon einigermaßen gut leben zu können. Sei’s drum. Wer weiß schon, was irgendwann sein wird. Es ist der Moment, der zählt.
Ich lebe in einem System, das mir erlaubt, meine Meinung frei zu äußern und mich so zu verwirklichen, wie ich es für richtig erachte. Ich bin also dankbar für diese Fragen, die ich mir nur stellen kann, weil ich ein Dach über den Kopf habe, mein Kühlschrank gut gefüllt ist, ich unter mind. 30 verschiedenen Sorten Joghurt oder Sonstiges auswählen kann (was mich übrigens keinesfalls glücklich macht) und ich es warm und trocken habe oder eine heiße Dusche genießen kann, falls ich mal von einer meiner Wanderungen in der Natur durchgefroren nach Hause komme. Ich lebe in dem Bewusstsein, dass ich nicht frierend auf der Straße unterwegs sein muss, weil weder das fehlende Dach über dem Kopf noch die Flucht aus meiner Heimat Gründe dafür sind.
In diesem Bewusstsein bin ich demütig, und Dankbarkeit breitet sich in mir aus. Nun, davon und auch von Luft und Liebe allein, lassen sich meine Grundbedürfnisse finanziell freilich nicht decken. Doch es entlastet mich, mit diesem Bewusstsein die Möglichkeiten meines eigenverantwortlichen Handelns und Steuerns im Leben zu sehen und es gestalten zu können. Die Klarheit darüber zu wissen, was ich will und wie ich leben möchte, ist die Basis für alles weitere. Im Vertrauen zu mir, dass ich mit dem, was ich gut kann und liebe, meinen Teil an der Gestaltung unserer Welt beitrage.
Der Wandel hat für mich eine neue Qualität bekommen.
Er ist eine Transformation aus der Mitte meines Seins und stellt die Energie für meine Lebensgestaltung bereit.
2020 ist Teil unseres Lebens. Ich empfinde dieses sehr herausfordernde Jahr im Rückblick betrachtet durchaus als Gewinn für mich.
Ich habe wundervolle und inspirierende Menschen kennengelernt, mich mit ihnen vernetzt und verbunden, sowohl in großartigen virtuellen Formaten, als auch im realen Leben.
Ich bin zu weniger Ich und mehr Wir eingeladen worden und fühle mich menschlich dadurch sehr bereichert.
Ich habe mich so gut wie möglich von all dem gelöst, was mich runterzieht und mir Energie raubt.
Ich bin noch enger mit meinen Freund:innen zusammengewachsen.
Ich habe den Sommer in all seiner Fülle genutzt, mit meinem ausgebauten Bus und dem Signore Pio unterwegs zu sein, um meine liebsten Menschen zu treffen.
Ich durfte einige Menschen in ihrem Prozess zu mehr Klarheit und Bewusstsein begleiten.
Ich konnte mit einer großen Zeitfülle die Bergwelt Österreichs und Südtirols erkunden. Die Natur ist meine Kraftquelle.
Ich habe einen Raum kennengelernt, in dem ich mich mit meinem höheren Selbst, der Essenz von allem was ist, verbinden kann. Jederzeit.
Und ich nutze die Zeit, um mich neu zu positionieren. Dieser Jahresrückblick steht für das Ende des Alten und den Anfang des Neuen. Da halte ich es wie T.S. Eliot.
What we call the beginning is often the end.
And to make an end is to make a beginning.
The end is where we start from.